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Tom Littlewood, Chief Editor bei VICE Deutschland 

Im ländlichen Fenland, in der Nähe des englischen Boston, geboren und aufgewachsen, studierte Tom Littlewood Französisch und Deutsch in Cambridge. Während der vier Jahre seines Studiums verbrachte er immer wieder Zeit in Berlin und begann, für VICE Deutschland zu arbeiten, ein Magazin, das gerade aus der Taufe gehoben worden war. 2007 war er der erste Vollzeit-Redakteur und nur ein Jahr später wurde er mit 23 Jahren Chefredakteur des Magazins in Berlin. Heute ist er Head of Content für VICE Deutschland, produziert Sendungen für das deutsche Fernsehen und hat sogar eine Show auf ZDF_Kultur moderiert. Die Reihe Wild Germany war 2011 in der Kategorie "Beste Dokumentation" für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.

Wie definierst du Modern Craft?

Für mich geht es dabei um das Können von Individuen, die es schaffen, hochwertige Produkte zu kreieren und dabei einen Teil ihrer Persönlichkeit miteinfließen lassen. In einer Welt voller Massenware ist so Handwerkskunst weniger sichtbar geworden, was der ganzen Sache mehr Prestige verleiht. Menschen, die in ihren eigenen Spezialgebieten arbeiten, schwimmen fast immer gegen den Strom, der von vielen als Fortschritt gesehen wird.

Warum ist diese Art von Handwerkskunst heute so beliebt?

In der Marktwirtschaft wird der Wert von Produkten anhand von Zeit und Geld definiert. Dinge schnell und billig zu produzieren, sticht oft Tradition, Innovation und Qualität aus. Wegen dieses Trends ist wahres Können immer wertvoller. Weil der Fokus im kreativen Prozess dieser Menschen auf Erfahrung, Verlässlichkeit, Qualität und Talent liegt, werden sie selbst zu einer seltenen und begehrten Ware; sie sind die letzte Bastion der Kreativität, indem sie Expertise mit Innovation kombinieren.

Wer schafft in deinen Augen Dinge völlig neu?

Vielleicht spricht da der Patriot aus mir, aber ich glaube, der kreative Kern der traditionellen englischen Modehäuser wie Loake, Barbour oder Burberry liegt in der Handwerkskunst. Natürlich gibt es auch andere Marken, die das Gleiche von sich sagen, aber ich finde, Individuen, die sich selbst einen Namen machen, ohne von einer großen Firma unterstützt zu werden, weitaus interessanter. Der Instrumentalist und Tontechniker Felix Thorn ist in meinen Augen ein revolutionärer Handwerker. Er kombiniert unglaubliches Können mit einmaliger Kreativität. Um zurück zum Schneiderhandwerk zu kommen, Bent Johnson von Herr von Eden produziert in meinen Augen Produkte von höchster Qualität, aber er ist besonders bemerkenswert, weil er es schafft, wunderbare Anzüge zu produzieren, die auf kreative Art und Weise neu definieren, wie ein Anzug eigentlich auszusehen hat, oder sogar wie er getragen wird. Er ist ein wahrer Innovator.

 

Christian Hanke, Creative Director bei Edenspiekermann

Christian Hanke ist Creative Director bei Edenspiekermann in Berlin und Stuttgart. Er arbeitet dort seit 2007 für internationale Marken. Sein Wissen teilt er gern in Vorträgen und Juries oder unterrichtet Design an der HTW Berlin. Seine Arbeiten als Gestalter wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem red dot design award »best of the best«.


Wie würdest Du modernes Handwerk definieren?

Was modern craft ist, sagen Dir Deine Hände. Denn die stärksten und relevantesten Produkte entstehen an der Schnittstelle von handwerklicher Ausführungsqualität und klugem gestalterischem Funktionsdenken. Ohne Designhaltung dümpelt das Handwerkliche vor sich hin. Ohne einen kompromisslosen Anspruch an die Herstellungsqualität bleibt es bei netten Prototypen. Der Craftsman wird durch ein unbedingtes Streben nach Meisterschaft getrieben. Er ruht nicht, bis sein Produkt den Benutzer erfreut und als unverzichtbar wahrgenommen wird. Frank Chimero sagt das etwas schwülstig aber sehr treffend: «Craft is a loveletter from the works maker». Ein solches Produkt kann ich einfach nicht mehr aus den Händen legen. 

Warum denkst du ist handwerkliche Meisterschaft so wertvoll heutzutage?

Weil jedes „Meisterstück“ über seinen Zweck hinaus weist: Es verleiht Besitzerstolz, reflektiert Identität, kommuniziert mit mir und für mich, trifft ins Herz. Handwerkliche Meisterschaft hat darüber hinaus eine gesellschaftliche Dimension. Allerdings nicht mit einer rückwärtsgewandten, etwas quengeligen „Manufactum“-Attitüde, sondern mit der zukunftsorientierten „Attitude“ des Kultivierens, die bewahrt, was wertvoll ist, indem sie es weiterentwickelt.

Wer in Deinen Augen gestaltet etwas in unfassbarer Fähigkeit?

Seit fünf Jahren arbeite ich für eine der besten Vertreterinnen dieses Begriffs: Die Designerin und Keramikmeisterin Stefanie Hering von Hering Berlin. Sie erfindet das Wesen der Tafel neu, indem sie Gebrauch, Material, Design und Herstellung von Porzellan, Glas und Tuch neu denkt und mit einem absoluten Qualitätsanspruch umsetzt. Aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Menschen, die als modern craftsmen scheinbar alte Gewerke völlig neu erfinden. In Deutschland zum Beispiel:

Ð Fiona Bennett, Hutkünstlerin
Ð Anderl Kammermeier, Metall
Ð Berthold Hoffmann, Eisenguß
Ð Christine Birkle, Filz
Ð Stefan Guzy und Björn Wiede, Druck 

Wie denkst Du wird sich Craftsmanship weiterentwickeln in der Zukunft?

Die Renaissance des Craftsmanship in unserem hochindustrialisierten Erdteil hat meiner Meinung nach gerade erst begonnen. Und dieser Anspruch, die Haltung wird sich zum Beispiel auch auf die digitalen Gestaltung und Produktion ausweiten. Es mag auf den ersten Blick seltsam klingen, aber auch digitale Produkte und Services werden «gecrafted». Denn zunehmend entscheidet die handwerklich exzellente Ausführung maßgeblich über das Gesamtprodukterlebnis. Nicht «Was kann dieses Produkt?» ist die Frage. Sondern die Frage heißt «Wie ist das Erlebnis?», damit die Benutzung auf einem ganz neuen Niveau erlebt werden kann. Denn ich bin überzeugt: Wer Craftsmenship spürt und schätzt, der tut dies nicht nur bei einem Stuhl oder einer Verpackung, sondern auch, wenn er sein iPhone benutzt.

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